Tanzkritik

Es lebe die Revolution 2.0

Ein Seil wird gespannt, auf Turnbänken wird geplaudert, Paare bilden sich, kleine Rangeleien entstehen. Die ersten Heroinnen bringen sich in Stellung. Die Suche nach Struktur, Synchronizität und Harmonie beginnt. Das Ende ist ungewiss.
Von Regina Christine Traxler

Gemeinhin frisst die Revolution ihre Kinder. In Michèle Anne De Meys international erfolgreicher Choreografie Sinfonia EroÏca erschaffen die Tänzer:innen in kindlicher Manier eine freudvolle, unbeschwerte neue Welt und bleiben so am Leben. Beethovens gleichnamige Symphonie dient ihr nicht nur als Titelspenderin, sondern auch als thematische Inspiration und erfüllt als Klangwolke nahezu durchwegs den Raum und das Geschehen. 

Nur vereinzelt wird sie von anderen Musikstücken, wie Mozarts leichtfüßiger Ouvertüre aus Bastien und Bastienne, harmonisch komplettiert. Damit bildet sie einen augenfälligen Kontrast zum kargen, nach hinten offenen Bühnenbild. Das anfangs kühle, nahezu ungetrübte Licht der Inszenierung stellt die neun – anstelle von ursprünglich sieben – Performer:innen der Compagnie Astragales ins Zentrum des Geschehens. Hier finden sie die Möglichkeit, sich die jeweilige Rolle anzueignen, gerne auch neu zu erfinden oder die Grenzen zu überschreiten, was De Mey allen offen lässt.

Auf der Suche nach einem Narrativ 

Ihre Akteurinnen sind Held:innen des Alltags und erkennen die eigene Courage, vor allem in den bewundernden Blicken der anderen. Dabei agieren sie mit einer faszinierenden, nahezu magischen Leichtigkeit und Unbeschwertheit. Wenn dem Abend auch eine durchgehende Dramaturgie fehlt (ein Merkmal von De Meys Arbeiten), so ist man doch Teil einer kreativen Tour de Force. Eine, die die Erwartungshaltung des Publikums vor sich herjagt, zwischen Turnbänken, Kletterturm, „Kehrschaufel“-Golf und schaukelnder Zip-Line-Seilbahn. Kaum gedanklich erfassbar, huscht das angekündigte Narrativ durch die Szenerie.     

„Kollektiver Schwung“ lenkt das Ensemble durch einen Tanz von Extremen: Bewegung und Stillstand, Kindereien und zielgerichtete Aktion, männliches Imponiergehabe und vertraute Plaudereien, ein Wechselspiel aus Agieren und Beobachten. Das Ensemble stampft, Stierkämpfern gleich, in glitzernden Pailletten-Boleros, mit kraftvollen Paso Doble-Tanzschritten und Jubellauten über die Bühne. Nur um kurz darauf die angezettelte Revolution mit akrobatischen Einlagen, wie Radschlag und Handstand, lachend wieder ad absurdum zu führen. 

Die Röcke und Hemden flattern unbeschwert, mit nackten Füßen genießen die Tänzerinnen und Tänzer ihre jugendlichen Mußestunden. Da stöckeln plötzlich (als Hommage an Jimi Hendrix?) „Foxy Ladies“, smarte Damen, durch die von Gitarrenbeats erfüllte Szenerie und eröffnen einen sinnlichen Reigen der Paare. Schon kommt es zu ersten Zerwürfnissen. Und manch eine wird zum willfährigen Objekt an der sich drehenden und surrenden Trapezstange. Die Gegenspielerin aller Ressentiments, die Balance, bringt vertraute Harmonie. 

Splish, splash, I am taking a bath … 

Unter freudigem Gejohle wird die Bühne eimerweise unter Wasser gesetzt. Weiß und Beige dominieren das Geschehen im warmen Licht der Scheinwerfer. Aus Wasser, dem Ursprung allen Lebens, soll Neues erschaffen werden. Hoppla, so dramatisch auf weißen Tüchern? Wo bleibt da all die kindliche Unbedarftheit? Na eben: Lasst uns doch ein Bad nehmen. 

Und so, wie der anvisierte Ball seinen Weg doch nicht ins Publikum findet, bleibt die spezifische Beziehung zwischen Ensemble und Publikum an diesem Abend ein wenig auf der Strecke. Punktuelle Interaktionen von Tänzer:innen mit Dirigent und Orchester reichen über den Bühnengraben nicht hinaus. „A votre danse, sil vous plait“, bittet ein Tänzer den Dirigenten zum Tanz. Gerne, aber vielleicht nicht heute. Wenn auch die Bewunderung für die Formation bleibt. 

Freiheit, Gleichheit, Schwester- und Brüderlichkeit. Trotzdem bleibt die Zuseher:in am Ende ein wenig ratlos zurück. Der Flashback in die 90-er Jahre ist, bei dieser Re-Kreation, nur zum Teil geglückt. 

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