Ein irisches Fest
Schmusen, schubsen, schreien: In Michael Keegan-Dolans „MÁM“ lebt die Kompagnie Teaċ Daṁsa das ganze Spektrum menschlicher Emotionen aus.Irritation stellt sich schon ein, bevor die Lichter im Saal ausgehen. Dumpfes Dröhnen und das verstörende Lachen eines mäßig amüsierten Fabelwesens untermalen die erste, märchenhafte Szene: Ein Mann trägt den Kopf eines Ziegenbocks als Maske, in seinen Händen eine Konzertina. Dazu ein blondes Mädchen, wie Alice im Wunderland in weißer Erstkommunionstracht, mit Handschuhen, kniehohen Strümpfen und Lackschuhen. Hinter den beiden Archetypen reihen sich auf Stühlen die maskierten Tänzer:innen der Compagnie auf. Cormac Begleys Konzertina und sein stampfender Fuß geben dann den Rhythmus für den Tanz vor, der bald die Kurve vom Mythischen zum Mondänen kratzt.
Zwischen Folklore und Fun
Ein Vorhang und die Masken fallen. Das sind doch nicht Figuren aus irischen Legenden, sondern festlich gekleidete Gäste, bei einer Totenwache oder einer Familienfeier, untermalt von der Berliner Jazzband s t a r g a z e, die nun Begleys Konzertina-Klänge unterstützt.
Wie bei jedem Fest kochen die Gefühle über. Unterschiedliche Formationen der Stühle spiegeln die zwischenmenschlichen Beziehungen ebenso wider wie die dynamischen Gruppenchoreografien: Da sind manche auf Konfrontation gebürstet, dann wieder bricht Keegan-Dolan die Situation ironisch auf: Es wird geschubst, und geschmust, mal laut Richtung Zuschauerraum gebrüllt und dann eine Bierdose geöffnet, während das mystische Mädchen in Weiß Fistbumps verteilt. Eine Sesselreihe am Bühnenrand erlaubt es den Tänzer:innen, dem Publikum beim Zuschauen zuzuschauen und ein paar Snacks zu teilen. Dann wieder werden die Stühle zu einer Klassenfoto-Formation gestapelt: Immer wieder erschafft Keegan-Dolan neue Arrangements von Tanz und Gemeinschaft. Zuletzt fällt der Vorhang zum finalen Tableau: Das Mädchen vor einer industriellen Landschaft aus Ventilatoren, die den finalen Trockeneisnebel verblasen.
Eine Party ohne Plan
Teaċ Daṁsa bedeutet übersetzt „der Ort, an dem getanzt wird” − dafür bietet sich die Bühne im Festspielhaus St. Pölten ja regelrecht an. Michael Keegan-Dolan erarbeitete das Stück MÁM in einem siebenwöchigen Prozess aus Improvisationen des Ensembles und des Konzertina-Virtuosen Begley. Dabei schneidet er eine Vielzahl an Themen an, von irischer Folklore und globalisierter Moderne, dunklen Traumwelten und komplexen Realitäten bis zu Tod und Leben: Nicht umsonst wird als Soundeffekt immer wieder das Quengeln eines mäßig amüsierten Babys eingespielt. Das ufert aber aus, genauso wie die Solos für beinahe alle exzellenten Tänzer des Ensembles, und bringt in 1:20 Stunde ohne Pause gewisse Längen mit sich. Andererseits: Muss ein irisches Fest nicht genauso ausschweifend sein?