Das Metronom gibt den Takt vor, auch in der Nacht
Es sind Kompositionen, die Filme zu „großem Kino“ werden ließen und eine jahrzehntelange Erfolgsgeschichte, die Ennio Morricone mitschrieb.In der Choreografie von Marcos Morau zelebrieren 16 Tänzer:innen der talentierten Dance-Company CCN/Aterballetto die vielen Facetten der Filmmusik Morricones.
Wie gelingt die tänzerische Umsetzung und entsprechende Würdigung eines über Generationen bekannten Filmkomponisten, und ist solch ein „großes Kino“ auch tänzerisch auf die Bühne zu bringen? Zunächst gibt ein Metronom den Takt vor. Danach sind es zwei Tänzer, die in Notte Morricone das Stück eröffnen, ein Arbeits-/Mischpult ist der Angelpunkt, um den sich alles dreht. Die beiden Tänzer werden zu Doubles von Ennio Morricone, der, so wie viele Künstler:innen, in den Nächten kreative Schaffensprozesse durchlebt. Nächte, in denen große Melodien entstehen.
Tänzerisch, in rasanten, stakkatoartigen Bewegungen, erzählen zunächst diese beiden Morricone-Verschnitte, was der Komponist in der Entstehungsphase seiner Musik durchlebt, wenn sich in seiner Brust zwei Seelen der Kreativität befeuern. Ideen werden geboren, validiert, in Zweifel gezogen, um dann finalisiert zu werden. Ein Schachbrett auf der Bühne erzählt von Morricones Leben abseits der Musik, das aber untrennbar damit verbunden ist. Dann erscheinen weitere 14 Tänzer:innen auf der Bühne, ein tanzender Schwarm aus Klonen des Komponisten. Mit ihren Bewegungen zeichnen sie ein wahres Wimmelbild vom Leben eines der wohl berühmtesten Filmmusik-Komponisten.
Die Tänzer:innen sind gekleidet in grauen Anzughosen, weißen Hemden und Hosenträgern, in Reminiszenz an den Komponisten. Sie verkörpern die verschiedenen Facetten, die Gedankenwelt und Ängste, die den Künstler antreiben. Als Kulissen dienen graue Wände, auf denen mit Kreide Kompositions-Entwürfe und Skizzen gezeichnet wurden. Diese Wände werden im Verlauf des Stücks mit einfachen Umbauten auf offener Bühne etwa zu einem Aufnahmestudio, zum Haus des Komponisten und zu einem Kinosaal umfunktioniert. Immer wieder sind Originalzitate von Ennio Morricone zu hören und es werden Schlüsselaussagen eingeblendet. Auf der Bühne erleben die Zuschauer:innen somit viele Details aus Morricones Leben, etwas wurde er 2007 mit einem Oscar für sein Lebenswerk gewürdigt, sowie 2016 für seine Musik zu Quentin Tarantinos Film The Hateful Eight.
Exklusiv für diese St. Pöltner Premiere spielt zu digitalen Soundcollagen, die in der Uraufführung von Moraus Choreografie zu hören waren, hier auch zusätzlich live das NÖ Tonkünstler-Orchester bekannte Stücke aus Morricones Werk. Es ergibt sich eine hervorragende Kombination aus Musik aus der Retorte, Live-Orchestermusik und Gesangsdarbietungen vom Feinsten. Die Sopranistin Federica Caseti Balucani ist in ihrer stimmlichen Interpretation virtuos und authentisch. Auf diese Weise kommen die Soundtracks aus Filmen wie Cinema Paradiso, The Good, the Bad and the Ugly oder Once Upon a Time bestens zur Geltung.
Im Fortgang der Inszenierung erscheinen sechs Puppen, mit Ennio Morricones Gesichtszügen, die die Tänzer:innen in ihrer Performance unterstützen. Diese Personifizierung durch Puppenspiel führt zu einer Heroisierung des Komponisten, die nicht nötig erscheint. Im Gegenteil, so wie Ennio Morricone in eingespielten Tonaufnahmen Bescheidenheit, Zurückhaltung und Dankbarkeit ausdrückt, wurde das von Marcos Morau im Programmheft zur Inszenierung ausgedrückte Ziel verfehlt, sich vor dem Künstler zu verneigen.
Die hervorragende Compagnie und das ebensolche NÖ-Tonkünstler-Orchester wären ohne dieses Pathos besser ausgekommen. So gesehen ist es doch wieder „großes Kino“, auch auf der Bühne!