Sinfonia Eroica des Alltags
Ein Tanzabend, der das Alltägliche in große Kunst verwandelt. Begegnungen, Bewegungen und Musik verschmelzen zu einer Sinfonie des Lebens.Nach 35 Jahren kehrt die belgische Choreografin Michèle Anne De Mey zu ihrer legendären Choreografie Sinfonia Eroica zurück. Gerade in einer Zeit, in der gesellschaftliche Entfremdung und Einsamkeit viele Menschen begleiten, setzt sie mit ihrer Neuinszenierung ein Zeichen: Sie widmet den Abend den Alltagsheld:innen – jenen, die lieben, lachen, trauern und sich immer wieder ins Leben werfen. Dabei zeigt sie eindrucksvoll, dass Heldentum nicht nur in großen historischen oder mythischen Gestalten existiert, sondern auch in den kleinen, unscheinbaren Momenten des Lebens.
Als das Publikum den Zuschauerraum betritt, herrscht auf der offenen Bühne bereits reges Treiben. Der Raum erinnert eher an einen großen Spielplatz als an eine klassische Bühnenkulisse. Junge Menschen sitzen dort, unterhalten sich, lachen, bereiten letzte Kleinigkeiten vor. Ein geschlossener Vorhang oder ein klarer Anfangspunkt fehlen – stattdessen entsteht der Eindruck, als sei man mitten in eine bereits laufende Szene geraten. Doch dann setzt die Musik ein – Mozarts Ouvertüre zum Singspiel Bastien und Bastienne erklingt, dargeboten vom Tonkünstler-Orchester – und augenblicklich verändert sich die Szenerie. Der Tanzabend beginnt.
Die Bühne bleibt ein Ort des Übergangs, der Verwandlung. Spielerisch gleiten die Tänzer:innen zwischen Alltag und Tanz, zwischen beiläufigen Bewegungen und choreografischer Präzision. Mal gehen sie scheinbar ziellos über die Bühne, tauschen Blicke aus, plaudern, spielen Tennis und Fußball, dann wieder fügen sie sich zu einer dynamischen Einheit zusammen. Mit den Höhepunkten der Musik entstehen beeindruckende Formationen: weite Schwünge, Drehungen, Sprünge – ein eindrucksvoller Kontrast zu den beiläufig wirkenden Alltagsszenen. Der Tanz entsteht, löst sich auf, formt sich neu – ein lebendiges Bild menschlichen Miteinanders.
Im Zentrum steht Beethovens Sinfonie Nr. 3, die Eroica. Ursprünglich Napoleon Bonaparte gewidmet, erzählt sie von Heldentum, Kampf und Wandel. Michèle Anne De Mey verwandelt sie in eine poetische Reflexion über das menschliche Zusammensein. In einer Welt, in der Einsamkeit oft wie ein Schatten über uns liegt, zelebriert sie die Schönheit der Begegnung. Die Tänzer:innen bilden Gruppen, trennen sich, suchen neue Partner:innen, tanzen allein und kehren schließlich wieder zueinander zurück. Diese ständige Bewegung, dieses Streben nach Verbindung – es ist das Leben selbst, eingefangen in kraftvollen, zugleich spielerisch wirkenden Bewegungen.
Die musikalische Gestaltung verstärkt diesen Eindruck. Beethovens Sinfonia Eroica gibt dem Abend Struktur, wird aber immer wieder aufgebrochen – durch plötzliche Stille oder unerwartete musikalische Einwürfe. Einmal verstummt die Musik vollständig, während der Tanz weitergeht: langsam, tastend, beinahe zärtlich. Dann wiederum reißt Jimi Hendrix’ Foxy Lady das Geschehen mit Energie und Unruhe aus der Harmonie – ein Bruch, der daran erinnert, dass das Leben keine perfekt komponierte Symphonie ist, sondern voller Überraschungen, Unterbrechungen und unerwarteter Wendungen.
Doch bei aller Abwechslung bleibt eine tiefe, grundlegende Freude spürbar: eine Feier der Bewegung, der Musik, des Zusammenseins. Die Tänzer:innen zeigen mit jedem Schritt, dass Tanz nicht nur Technik, sondern vor allem Ausdruck des Lebens ist. In einer Zeit, die oft von Distanz und Isolation geprägt ist, erinnert Sinfonia Eroica daran, dass wir uns immer wieder zusammenfinden können – im Tanz, in der Musik, im Leben.