Tanzkritik

Denn meine Religion ist die Liebe

Mit eigens komponierter Musik befasst sich das Stück "Ishane" von Sidi Larbi Cherkaoui mit grundlegenden Fragen der Herkunft, Identität und Zugehörigkeit

Nach „Vlaemsch (chez moi)“ aus dem Jahr 2022, das sich mit seinen flämischen Wurzeln mütterlicherseits befasst, beleuchtet „Ihsane“ nun die marokkanische väterliche Seite des in 1976 in Antwerpen geborenen Choreographen Sidi Larbi Cherkaoui. Dabei sind vor allem die Fragen nach Identität und Zugehörigkeit von zentraler Bedeutung, ist Cherkaoui doch selbst ein Flame mit arabischem Namen, ein Araber mit heller Haut und ohne entsprechende Sprachkenntnisse, Homosexueller, Künstler, Tänzer, Choreograph. 

Verwoben wird diese Suche nach dem Ich einerseits mit der Geschichte seines Vaters, einem Einwanderer aus Tanger, der für sein neues Leben in Belgien auf seine eigenen künstlerischen Ambitionen verzichtete und dessen Beerdigung der damals 19-jährige Cherkaoui nicht beiwohnte. Die Trauer und die Suche nach dem Vater führte ihn zunächst auf den übervollen Friedhof nach Tanger und beschäftigt ihn auch in „Ihsane“: die Aufarbeitung einer Wunde und die Verteidigung seiner Queerness gegen traditionelle väterliche Wertvorstellungen.

Andererseits identifiziert sich Cherkaoui in seiner Performance mit dem Schicksal des 2012 im belgischen Liège aufgrund seiner Homosexualität von einem Mob misshandelten und brutal erschlagenen jungen Marokkaners mit dem Namen Ihsane Jarfi. Dargestellt durch tänzerisch eindrucksvolle Kampfszenen sowie die Videoprojektion des Schächtens eines weißen Lammes, das auch auf der Bühne tänzerisch immer wieder kehrt, gedenkt das Stück metaphorisch auch Ihsane Jarfis Lebensrealität. 

Zugleich ist „Ihsane“ eine Ode an die Kunst, Kultur und Sprache des Herkunftslandes der beiden Figuren. Ausgedrückt etwa durch die Kleidung der Tänzer:innen aus Genf und Antwerpen: transparente Schleier, zylinderförmige,  rote Kopfbedeckungen, oder traditionelle Röcke der Berber wechseln sich ab, während sie auf bunten Teppichen Tee trinken. Der tunesische Komponist und Violinist Jasser Haj Youssef intoniert die Performance mit eigens geschriebener Musik. Diese wird mit regional typischen Instrumenten, wie etwa der Oud, live im Hintergrund der Bühne von Musikern und Sänger:innen diverser Staaten des Nahen Ostens eindrucksvoll dargeboten. 

Der arabischen Sprache kommt eine bedeutende Rolle zu: Das Ensemble huldigt ihr durch eine Sequenz einer Sprachunterrichtsstunde. Schwungvoll kursive Schriftzüge finden sich auch wiederholt an den Seitenwänden der Bühne, gefolgt von der Rezitation eines Gedichts aus dem Werk „Der Übersetzer der Sehnsüchte“ des bedeutenden mittelalterlichen Mystikers Ibn Al-Arabi. 

Auch typisch maurische Ornamente sind überall zu sehen. Filigran, elegant, perfekt symmetrisch: wie etwa an dem Tor, durch das die Tänzer:innen die Bühne betreten und das sie alle in ihrer Unterschiedlichkeit willkommen heißt. Wie aber etwa auch an der hell erstrahlenden Laterne, die über der Bühne schwebt und am Ende dieses tief berührenden Gesamtkunstwerks alles mit ihrem Licht überstrahlt und den Toten in sich aufnimmt: Licht, das unser aller Leben bestimmt und stärker ist als Trauer und Hass. Ihsane eben: Güte, Wohlwollen, Freundlichkeit. Die Praxis der Wohltätigkeit, sich selbst und der Gemeinschaft gegenüber. 

  • Da JavaScript dekativiert ist, werden einige Inhalte nicht geladen.
  • Da dein Browser nicht supportet wird, werden einige Inhalte nicht geladen.
  • Auf Grund von zu geringer Bandbreite werden einige Inhalte nicht geladen.
  • Auf Grund von zu schwacher Hardware werden einige Inhalte nicht geladen.