Tanzkritik

Bemerkenswertes Requiem in Erinnerung an ein musikalisches Genie

Eine Nacht mitten in Ennio Morricones Alltag, so beginnt die Hommage des Choreografen Marcos Morau an den Filmmusik-Komponisten, der nicht nur Cineasten ein Begriff ist.

Der Vorhang öffnet sich auf einer düsteren Bühne mit einer großen Wand, auf der festgefrorene Ausschnitte aus Filmen zu erkennen sind, die die Musik des Komponisten Ennio Morricone illustrieren. Marcos Morau bietet uns kein zeitgenössisches Ballett an, sondern ein Tanztheater. Die Musik ist zum einen vom Niederösterreichischen Tonkünstler Orchester unter der Leitung von Maurizio Billi beigesteuert, zum anderen untermalen die Berliner DJs Alex Röser Vatiché und Ben Merwein die Choreografie mit digitalen Samples. Die außergewöhnliche Stimme von Frederica Caseti Balucani wird noch lange im Gedächtnis bleiben.

Der Komponist wird von zwei Tänzern dargestellt, die in grauen Hosen mit Hosenträgern, weißen Hemden und Hornbrillen als seine Doppelgänger agieren. Durch ruckartige Hip-Hop-Bewegungen beschwören sie dessen Qualen, seine Ideenkämpfe, erscheinen wie eine gespaltene Persönlichkeit. Nach und nach erscheinen weitere Doppelgänger, bewegen sich wie ein Bienenschwarm zu einer tadellosen Ausrichtung, ähnlich einem Kanon in der Musik. Wo der Choreograf eine gewisse Freiheit gelassen hatte, nimmt er sie nun strikt zurück. In dieser Szene ist die DNA der Centro Coreografico Nazionale/Aterballetto Company(*), die Marcos Moreau meisterhaft einsetzt, eindeutig wiederzufinden. Die Bewegungen sind ruckartig, synchron und halten den Zuschauer in Atem. Einige Tänzerinnen und Tänzer stechen dabei aus der Gruppe heraus und verzaubern mit ihren schlangenartigen Bewegungen. Alles ist kraftvoll, bewegend, theatralisch, menschlich.

Die chronologische Reihenfolge der Szenen entspricht nicht der dargestellten Geschichte. Begleitet wird das Gesamtkonzept von stetigen Veränderungen des Ortes, ebenso wie die Momente im Leben des Musikers und die Erinnerungen an sein Schaffen wechseln. Choreografie und Orchester-Begleitung untermalen und akzentuieren diese steten Verwandlungen und nehmen damit die Struktur der Komposition eines Gedenkrequiems an. Noch hält Enni Morricone eine Trompete als Gewehr in seiner Hand, um Western-Töne heraufzubeschwören, als ein Tänzer auf allen Vieren kommt und aus einer großen Tasche eine Puppe in der Gestalt von Morricone holt, die einige seiner Sätze deklamiert. Dann ist da ein Flügel, der zum Leben erwacht, in den Tanz einsteigt, Partituren fliegen im Strahl heraus, das Klavier wird schließlich durch Seile, die von den Tänzern gehalten werden, ruhiggestellt, die Partituren werden akribisch aufgesammelt. Wie im Traum kommt Morricones Büste aus dem Bauch des Klaviers, um rücklings darauf zu spielen, dann verrenkt sich ein anderer Tänzer auf dem geschlossenen Deckel. Die Tänzerinnen und Tänzer tauschen unter der Leitung von Morricone, der am Dirigentenpult steht, ihre Overalls gegen Orchesterkostüme aus, als Hommage an die Oscar-Verleihung, symbolisiert durch große Sträuße roter Rosen.

Es folgt eine Szene im Filmvorführraum, in der der Komponist auf einem Podium mit einem Schachspiel ein Orchester dirigiert, während die Tänzer mit ihren Sesseln einen kanonartigen Rhythmus zu einem von Metronomen untermalten Tempo der westlichen Kavallerie aufspielen. Dann, in Morricones Werkstatt, untermalt die Mundharmonika die Musik von Es war einmal im Westen, während die Tänzer mit mehreren identischen Puppen ankommen, als hätte sich der Komponist wie seine unzähligen Werke vervielfältigt. Die Wand wird für eine wunderschöne kinematografische Darbietung von Ausschnitten aus Morricones Filmen zur Leinwand, aber auch Porträts sind zu sehen. Schließlich stellen sich die Tänzer regungslos hinter dem Klavier auf, um sich vom Komponisten zu verabschieden, symbolisiert durch die Puppe, die im Bauch des geschlossenen Klaviers platziert wird.

Es ist nicht das Ende der Aufführung, sondern es folgt das Requiem aeternam zum Gedenken an den Komponisten, das Marcos Morau gezielt an eine andere Stelle platziert hat, obgleich in einer Totenmesse mit diesem Gebet begonnen wird. Ein Zitat, das Morricone zugeschrieben wird, in dem er prominente Charaktere und Persönlichkeiten auflistet, die mit seiner Karriere und Inspiration verbunden waren, erklingt im Raum. Die Musik geht weiter, die Tänzer sammeln die Pulte ein, die sie stapeln. Die Lichter flackern auf der Bühne und im Raum, das Klavier kehrt in die Mitte der Bühne zurück, die Trompete wird darin "begraben", während Tänzerinnen und Tänzer im Chor singen. 

Vorhang. 
 

(*) Rossini Cards – Aterballetto (2005)
Auf YouTube (Englisch)

NOTTE MORICONNE
Festspielhaus St. Pölten
23. November 2024
Choreografie: Marcos Morau.
Tanz : Centre Coreagrafico Nazionale/Aterballetto
Musik : Ennio Morricone
Musikalische Leitung und Arrangements: Maurizio Billi
Orchester: Tonkünstler-Orchester Niederösterreich
Sopran: Frederica Caseti Balucani

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